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Dienstag, Oktober 03, 2006

Ansprache einer Kerze im Advent

Von Hans Albert Höniges

Ihr habt mich angezündet und schaut - nachdenklich oder versonnen - in mein Licht. Vielleicht freut Ihr Euch auch ein bisschen dabei. Ich jedenfalls freue mich, dass ich brenne.

Wenn ich nicht brennen würde, dann läge ich in einem Karton mit anderen, die auch nicht brennen. In so einem Karton haben wir aber überhaupt keinen Sinn. Da liegen wir nur herum. Einen Sinn habe ich nur, wenn ich brenne. Und jetzt brenne ich.

Aber seit ich brenne, bin ich schon ein kleines bisschen kürzer geworden. Das ist schade, denn ich kann mir schon ausrechnen, wann ich so kurz bin, dass ich nur noch ein kleines Stümpfchen bin.

Aber so ist das: Es gibt nur zwei Möglichkeiten - entweder ich bleibe ganz und unversehrt und im Karton, dann werde ich nicht kürzer, dann geht mir überhaupt nichts ab - aber dann weiß ich nicht, was ich eigentlich soll - oder ich gebe Licht und Wärme, dann weiß ich, wofür ich da bin, dann muss ich aber etwas geben dafür, von mir selbst, mich selber. Das ist schöner als kalt und sinnlos im Karton,

So ist das auch bei euch Menschen, genau so. Entweder Ihr bleibt für Euch, dann passiert Euch nichts, dann geht Euch nichts ab - aber dann wisst Ihr auch eigentlich nicht so recht: Warum. Dann seid Ihr wie Kerzen im Karton. - Oder Ihr gebt Licht und Wärme. Dann habt Ihr einen Sinn. Dann freuen sich die Menschen, dass es Euch gibt. Dann seid Ihr nicht vergebens da. Aber dafür müsst Ihr etwas geben: Von Euch selber, von allem, was in Euch lebendig ist: Von Eurer Freude, Eurer Herzlichkeit, von Eurer Treue, Eurem Lachen, Eurer Traurigkeit, von Euren Ängsten, von Euren Sehnsüchten, von allem, was in Euch ist.

Ihr braucht keine Angst zu haben, wenn Ihr dabei kürzer werdet. Das ist nur äußerlich. Innen werdet Ihr immer heller. Denkt ruhig daran, wenn Ihr in eine brennende Kerze seht, denn so eine Kerze seid Ihr selber.